Teamwork und Entschlossenheit trainieren

„Wie man klettert, das lernen Sie heute nicht, sondern Sie werden hautnah erfahren wie wichtig Teamwork und Selbstvertrauen sind“ schickt Stefan Hieronimus, Geschäftsführer der PROVENTURE Managementberatung seiner Begrüßung voraus. „Ooch, dabei habe ich mich schon so aufs Herumkraxeln gefreut“, scherzt eine Teilnehmerin. Viele Teilnehmer, allesamt Trainer und Personalverantwortliche sowie Stammkunden des Tagungshotels ZUGBRÜCKE in Höhr-Grenzhausen, kennen sich schon. In Freizeitkleidung sitzen sie im Tagungsraum und lauschen den Worten von Hieronimus. Die Stimmung ist entspannt. Kein Wunder, schließlich müssen sie heute keine komplizierten Inhalte vermitteln, sondern lernen selbst eine spannende und wirksame Trainingsmethode kennen.

Teamwork lässt sich perfekt drinnen und draußen trainieren

Erlebnisorientierte Trainings eignen sich vor allem“, so Hieronimus, „zum Trainieren personaler Kompetenzen wie Mut und Risikobereitschaft und sozialer Kompetenzen wie Teamfähigkeit. Auch das Führungsverhalten kann mit ihnen entwickelt werden.“ Dabei können manche Übungen im Seminarraum, andere nur im Freien durchgeführt werden – zum Beispiel auf einer Ropes-Anlage, einem speziell hierfür geschaffenen Trainingsparcours. Wichtig ist aber: Keine Übung sollte länger als 30 bis 60 Minuten dauern. Dann können mit ihnen speziell auf die Ziele des Unternehmens zugeschnittene Trainings-Dramaturgien entwickelt werden.

Zudem sind die Erfahrungen noch frisch, wenn sie unmittelbar nach den Übungen reflektiert werden. „Mindestens ebenso wichtig wie die Übungen“, so der Teamwork und Outdoor-Experte, „ist jedoch die anschließende Transferphase“. In ihnen übertragen die Teilnehmer das gerade Gelernte auf ihren Arbeitsalltag.

„Insgesamt stehen uns mehr als 150 erlebnisorientierte Übungen und Aufgabenstellungen zur Förderung von Teamwork zur Verfügung. Von diesen können sie heute natürlich nur einen kleinen Ausschnitt kennen lernen“, berichtet Hieronimus. „Mehr Zeit haben wir nicht.“ Die Palette reicht von Kommunikations-Übungen im Indoorbereich bis hin zu Aufgaben auf der High-Ropes-Anlage, die manchmal etwas Überwindung kosten. „Was ist, wenn jemand eine Übung verweigert, weil sie ihm zu gefährlich erscheint?“, will Klaus-Peter Wollny, Trainingsmanager der Innovex GmbH, Mannheim, wissen. „Dann ist das okay“, betont Hieronimus, „Auf keinen Fall sollen Sie sportlichen Ehrgeiz bei den Übungselementen entwickeln. Denken Sie vielmehr stets daran: Mut haben bedeutet auch, dass man den Mut hat, ‚Nein‘ zu sagen und seine Grenzen zu akzeptieren. Setzen Sie sich deshalb immer realistische Ziele. Teamwork bedeutet nicht Grupendruck und Überredung“. So vorbereitet begibt sich die Gruppe zum Training ins Freie.

 

Soft beginnen

Vor dem Eingang der ZUGBRÜCKE erläutert Hieronimus die erste Übung. Die Teilnehmer sollen sich zu Paaren zusammenfinden. „Am Besten tun sich zwei Personen zusammen, die sich noch nicht gut kennen.“ Dann verteilt Hieronimus Tücher. Mit ihnen sollen jeweils einem der beiden Partner die Augen verbunden werden. Die Aufgabe für den anderen lautet, den Partner zu führen, ohne dabei zu sprechen. Alle Paare machen sich nun vorsichtig auf den Weg zum Outdoor-Parcours, der hinter der Tischtennishalle der ZUGBRÜCKE liegt. An mehreren Stellen machen die „Führenden“ halt. Sie lassen die „Blinden“ zum Beispiel einen Stock, einen Stein oder einen Baumstamm betasten. Sie sollen ihre Umwelt einmal über einen anderen Sinneskanal als die Augen wahrnehmen. Wie bestellt liegt ein riesiger Pilz am Wegrand.

Diese Gelegenheit lässt sich auch Hans Walrafen, Außendienstleiter der Orthomol GmbH, Langenfeld, nicht entgehen. Geschwind drückt er seiner Partnerin den glitschigen Waldbewohner in die Hand. „liih, ein Frosch“, schreckt diese zunächst zurück. Dann beginnt sie vorsichtig die Konturen des fragilen Gebildes mit ihren Fingern zu erforschen. Walrafen schaut ihr dabei staunend und schmunzelnd zu.

Nach und nach kommen die Paare, die zwischenzeitlich ihre Rollen getauscht haben, zum Treffpunkt am Ropes-Parcours. „Wie ging es Ihnen bei der Übung?“, fragt Hieronimus die Teilnehmer. Solche kurzen Reflektionsphasen, in denen die Teilnehmer ihre Erlebnisse und Erfahrungen austauschen, finden beim erlebnisorientierten Training nach jeder Übung statt.
„Also das Führen fand ich einfacher“, gesteht Günther Kullmann „mit verbundenen Augen hatte ich erst etwas Angst.“ Die anderen nicken. „Irgendwann habe ich mir gedacht“, so der Trainer der Wyeth Pharma GmbH, Münster „der Liebhardt wird mich schon nicht irgendwohin führen, wo er nicht auch selbst hingehen würde.“ „Das ist auch richtig“, erwidert Liebhardt Schlett aus Köln. Er arbeitet als Trainer für die Aachener & Münchener Versicherung AG.

„Aber genau deshalb fand ich das Führen schwerer, weil man dann für den Partner mitverantwortlich ist.“ „Beide Aspekte sind bei dieser Übung wichtig“, erläutert Hieronimus. „Einerseits Vertrauen entwickeln und die Umwelt einmal ganz anders wahrnehmen, andererseits für den Führenden, Verantwortung übernehmen.“

Dann bittet Hieronimus die Teilnehmer sich in zwei Gruppen aufzuteilen. Sie sollen parallel zwei verschiedene Übungen absolvieren. Beide benutzt Hieronimus oft zu Beginn eines Seminars, weil sie Berührungsängste schnell abbauen. Eine Gruppe begibt sich zu einer Art Rampe, die andere versammelt sich vor einem aus Gummiseilen gespannten Netz. Bei der Übung an der Rampe muss sich ein Teilnehmer jeweils aus knapp zwei Metern Höhe rücklings in die Arme seiner Mitstreiter fallen lassen. Diese stehen unten in zwei Reihen „Spalier“ und verzahnen ihre ausgestreckten Arme im Reißverschlussprinzip, um den fallenden Körper abfangen zu können.

Deutlich merkt man, dass sich mancher Teilnehmer stark überwinden muss, um sich nach hinten überkippen zu lassen. „Erst ist man total unsicher und man fragt sich: Werden die da unten dich auch halten“, erzählt Klaus-Peter Wollny in der anschließen den Reflektionsrunde. „Aber an dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, fällt das völlig von einem ab. Man verlässt sich einfach auf die anderen“. „Dann macht das sich fallen lassen sogar richtig Spaß“, findet Hans Walrafen.

 

Hemmschwellen überwinden

Auch die andere Gruppe hat mittlerweile ihre Aufgabe gelöst. Nach und nach sollten all ihre Mitglieder durch die Löcher des „Spinnennetzes“ – von der einen Seite auf die andere – gelangen. Die Crux dabei: Jedes Loch darf nur einmal benutzt werden, und die Gummiseile dürfen dabei nicht berührt werden. Bei den oberen Löchern klappte dies nur, indem die restlichen Gruppenmitglieder ihre Mitstreiter gleich steifen Brettern, waagerecht liegend durch die etwa schulterhohen Löcher hievten. Fast sah es so aus, als würden sie schweben. „Am Anfang kostete es etwas Überwindung, die anderen anzufassen bzw. sich von ihnen anfassen zu lassen“, berichtet Günther Kullmann, „schließlich musste man ihnen im wahrsten Sinne des Wortes unter die Arme greifen und sich von ihnen auf Händen tragen lassen“. „Das ist auch der Sinn der Übung“, erklärt Hieronimus. „Seminarteilnehmer lernen so unter anderem, dass sie manches Problem nur lösen können, wenn sie bestimmte Hemmschwellen und Berührungsängste überwinden. Außerdem muss die Gruppe eine Strategie entwickeln, damit am Ende auch wirklich jeder auf der anderen Seite des Netzes steht“. „Stimmt“, meint Thomas Metternich, Direktionsbevollmächtigter der Aachener & Münchener Versicherung AG aus Nievern, „bei unserem ersten Versuch wusste ich nicht, wie ich als Letzter durch das hohe Loch kommen sollte. Nur mit Teamwork haben wir es geschafft.“

Nach zwei weiteren Übungen entlässt Hieronimus die Teilnehmer am Schnupperseminar in die wohlverdiente Mittagspause. Als sie anschließend zum Outdoor-Parcours zurückkehren, ist Stefan Schmitt von PROVENTURE, der als Sicherheitstrainer bei diesem Seminar fungiert, damit beschäftigt, Gurte und Helme zurechtzulegen. Jeder Teilnehmer bekommt ein Gurtsystem und einen Helm ausgehändigt. Hieronimus und Schmitt erklären, wie Gurte und Helm angelegt werden müssen und helfen den Teilnehmern, sie überzuziehen. „lch sehe aus wie Calimero“, sagt ein Teilnehmer belustigt über sein neues Outfit. Bevor es auf das „Swinging Logs“ genannte Trainingselement geht, übt Wallrodt mit den Teilnehmern intensiv das Sichern. Auch hierbei kommt es auf  gutes Teamwork an. Jeweils drei Personen sichern ab, während der Gesicherte versucht, sich in sieben Meter Höhe von einem „schwingenden Balken“ auf den nächsten zu hangeln. Das ist nämlich die Aufgabe, die jetzt auf die Teilnehmer wartet.

Beim Anblick der vier Balken, die nur in ihrer Mitte an einem Seil befestigt, von einem darüber gespannten Drahtseil herunterhängen, wird es manchem Teilnehmer etwas mulmig. „Ziemlich wackelige Angelegenheit,“ mutmaßt Metternich. „Deshalb hängen von den Enden der Balken zusätzliche Seile herab. Mit ihnen kann der Rest der Gruppe die Balken stabilisieren“, erklärt Hieronimus. Die Übung Swinging Logs ist eine Hochübung mit der sich ideal Teamwork trainieren lässt.

Der teamworkerfahrene Markus Kutscheid von der Business Training Competence GmbH, Langen, und Liebhard Schlett sind die ersten „Freiwilligen“, die hinaufsteigen. Die erste Hürde besteht darin, vom Klettermast auf den ersten Balken zu treten. „Zieht das Ding weiter zu mir rüber“, ruft Kutscheid den Leuten am Boden zu. Dort haben jetzt nicht nur die drei „Absicherer“ Seile in der Hand. Auch die anderen haben sich jeweils zu zweit eines der herunterhängenden Seile gegriffen. Mit ihnen versuchen sie nun, die Balken möglichst nahe zusammenzubringen sowie waagerecht und stabil zu halten, damit Kutscheid und Schlett sicher von einem Balken zum nächsten gelangen können. Diese sind jedoch so angebracht, dass der Abstand von Balken zu Balken stets größer wird. Der Schritt vom dritten zum vierten Balken ist so groß, dass die beiden Kletterer ihn so nicht schaffen. Auf ihr Signal hin lassen sie sich in die Halteseile fallen und gelangen so sicher zu Boden.

 

Teamwork bedeutet gemeinsam Strategien entwickeln

„Zeigen Sie hier Teamwork und überlegen Sie sich als Gruppe eine Strategie, damit die nächsten beiden Kletterer weiter kommen“, rät Hieronimus. Die Teilnehmer besprechen sich kurz untereinander. Sie beschließen, dass jemand aus der Gruppe sich in einiger Entfernung zu der Anlage aufstellt, um die anderen zu dirigieren. Diese Aufgabe übernimmt Klaus-Peter Wollny. Dann beginnen Kullmann und Metternich den Mast zu erklimmen. „Mehr nach links, ihr beide müsst an die Seile des mittleren Balkens“, gibt Wollny Anweisungen für das „Bodenpersonal“, während die beiden Männer sich oben gegenseitig helfen, von einem Balken zum nächsten zu gelangen. Mit vereinten Kräften erreichen Kullmann und Metternich den vierten und letzten Balken. „Das hätte ich nicht gedacht, dass wir das schaffen“, staunt Schlett. Noch mehr überrascht die Teilnehmer, dass in sehr kurzer Zeit ein intensives „Wir-Gefühl“ in der Gruppe entstanden ist.

Nach einer kurzen Kaffeepause versammelt sich die Schnuppergruppe zu einer Feedback-Runde im Seminarraum. Einig sind sich alle: Es hat viel Spaß gemacht und das Training war sehr spannend. „Ich habe heute schön beobachten können, wie Prozesse im Team funktionieren“, berichtet Günther Kullmann. Hans Walrafen betont, „mir wurde vor allem deutlich, wie wichtig es ist, miteinander zu kommunizieren.“ Die anderen nicken. „Zudem ist der Lerneffekt deutlich höher, wenn man etwas selbst tut und erfährt, als wenn man es nur erzählt bekommt“, meint Liebhard Schlett. Positiv heben alle Beteiligten hervor, dass Hieronimus der Gruppe stets genügend Freiraum zum Entwickeln von Teamstrategien gab und nicht immer gleich „reinredete“.

Auch Anwendungsmöglichkeiten für die betriebliche Praxis erkennen die Teilnehmer sofort. „Ein solches Training beschleunigt den Gruppenfindungsprozess und das Teamwork erheblich“, betont Markus Kutscheid. „Das lohnt sich zum Beispiel, wenn man viele ‚Neue‘ in der Firma hat.“ Auch Thomas Metternich hat schon eine Zielgruppe vor Augen. „Ich weiß schon genau, welche Gruppe von uns als erste hier sein wird“, sagt er.

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